Gesellschaft

Beim Essen brauche ich Ruhe

30 November 2018

Vor Jahren kaufte ich mir in meinem 1600 Oberkärntnerseelen zählenden Heimatdorf während des Sommers eine Leberkäsesemmel. Diese wollte ich in Ruhe und für mich alleine verspeisen. Eins ist nämlich klar für mich, beim Essen brauche ich Ruhe. 

Beim Essen brauche ich Ruhe und wünsche mir Anonymität

Der erste Plan war der Parkplatz eines Kaufhauses. Dort war es mir nicht möglich ungestört zu essen, da eine junge Frau, die ich noch von früher kannte und der ich an der Brottheke begegnet war, vor dem Geschäft stand und wartete. Sie beäugt mich und fragte sich bestimmt, woher sie mich denn kenne. Unter Beobachtung wollte ich keinesfalls essen.

Meine nächste Idee war das Schwimmbad. An der Kreuzung zur Bundesstraße bog mein Cousin mit seinem schwarz-weiß lackierten Schlitten auf den Parkplatz. Er hob lässig seine Hand zur Begrüßung, machte eine Runde und stand dann wartend hinter mir. Die Situation stresste mich. Entweder wollte mein Cousin nun auch, wie ich zum Schwimmbad oder er wollte mich abfangen, um mit mir zu quatschen. Weil ich ungestört Essen wollte verwarf ich meinen Plan und bog auf die Bundesstraße. Mein Cousin fuhr entgegen meiner Annahme geradeaus auf den Parkplatz eines Gasthauses. Na super, ich hätte doch zum Schwimmbad fahren können.

Meine Odyssee nach Ruhe geht weiter

Egal, dachte ich mir und fuhr in Richtung Dorfzentrum. Es ging am Friseurparkplatz, am Parkplatz des zweiten Supermarktes, den Tennisplätzen, der Pizzeria und dem Kundenparkplatz der Bank vorbei. Plötzlich schoss es mir. Der Parkplatz der Schule. Dort wird in den Sommerferien bestimmt niemand sein und ich könne endlich in Ruhe und unbeobachtet essen. Warum ich mich so stark nach absoluter Anonymität sehnt, weiß ich nicht.

Von der Ferne sah ich die Schule. Umgebaut, ein hässlicher grauer Klotz. Alles muss immer verändert, erneuert, verbaut, verbessert werden. Warum nur? Der Leberkäse war schon ein bisschen kälter geworden. Ich liebe ihn heiß. Umhüllt von einer knackigen Semmel. Oh je, jetzt musste der Schulwart in den Ferien auch noch hier herum werken. Warum genießt er nicht seinen Urlaub? Ich begann mein Dorf zu verabscheuen. Man muss wissen, wenn ich hungrig bin, dann werde ich grantig und dann ist nichts und niemand vor Ablehnung gefeit. 

Schaut das jetzt blöd aus, überlegte ich. Egal, ich wollte hier nicht bleiben. „Grüß dich!“ Ich wendete den Wagen und mache mich wieder auf die Suche meinem Ort der Ruhe. Und da war schon die nächste Person die ich kannte; um Herrgotts Willen! „Servus!“ Innerlich rollte ich die Augen. Es war unglaublich in diesem Kaff! Konnte man hier nirgendwo alleine und in Ruhe essen? 

Keine Anonymität am Land 

In Wien wäre es mir egal gewesen, ob es Leute um mich herum gab, dort interessiert es nämlich niemanden, ob und wie ich meine Leberkäsesemmel verspeise. Hier in diesem kleinen Nest hatte ich das Gefühl, dass es jeden interessierte.

In diesem Moment wollte ich fern meines Dorfes sein. Ich ahnte schon, dass nun wieder über mich geredet und interpretiert werden würde Aber was soll’s, sollen sie reden! Wo sollte ich jetzt hin? Überall war jemand. Die Häuser lagen ganz eng beieinander. Kleinbürgerlicher Schick. Ich war gefühlt kurz vor dem Ersticken. Ich wollte diese verdammte Semmel jetzt endlich essen, ich hatte solchen Hunger!

Im Wald wird sich sicher ein Platzerl für mich finden. Ich hatte Hoffnung. Offen sollte dieser Platz sein, wie eine kleine Lichtung auf der Alm, mit einem schönen Ausblick. Genau das wollte ich als Kulisse für den Verzehr meiner Semmel und natürlich, alleine sein.

Mein Verlangen nach Stille und Anonymität

Schon wieder ein Auto. Was treiben die Leute bloß am Nachmittag eines normalen Arbeitstages an all diesen Orten? Ich bog nach rechts in den Autoweg, der zur Feuerwehr führt. Irgendwo wirst du sein, du Ort meines Verlangens! Was macht denn dieser Mann hier bitte schön, fragte ich mich. Das gibt es auch nur hier bei uns. Die Sinnhaftigkeit von so manchem Verhalten der Eingeborenen erschließ sich mir manchmal einfach nicht. Saß ein sehr rundlicher Mann, dessen Shirt seinen Bauch nur halb bedeckte, auf einer kleinen Lichtung unter einem Sonnenschirm zwischen Holzgredn und Auto. Vor ihm ein weißer Campingtisch. Ganz genüsslich genehmigt sich der Mann eine Brettljause. Belustigt und entsetzt zugleich schüttelte ich den Kopf und fuhr weiter. Dem Mann schien es egal egal zu sein, wenn Leute ihm beim Essen zuschauten.  

Dunkel war der Autoweg, keine Lichtung, kein Ausblick. Ich fuhr weiter und langsam wusste ich nicht mehr wohin. Dieses Dorf war so zersiedelt. Überall war irgendwo jemanden und überall stand irgendwo ein Haus. Alle Häuser hätten Gartenzäune und waren mit Vorhängen verbarrikadiert. Vermeintlich unbeobachtet rausschauen konnten sie alle und neugierig war auch jeder einzelne von ihnen.

Beim Essen brauche ich Ruhe

Na endlich, der ersehnte große Parkplatz, flüsterte ich vor mich hin. Oh je, zwei Autos. Leer, Gott sei Dank! Motor aus, Türe auf und endlich das Rauschen des Baches. Ruhe. Der Ausblick war nichtssagend, aber die Weite stimmt. Und nun endlich, meine Leberkäsesemmel und ich allein. Die Semmel war weich und der Leberkäse war kalt und verdammt salzig. Und mit jedem Bissen wurde er salziger. Ich dachte an meine Brüder, die jedes Essen von Oma nachsalzten, ohne dass sie es vorher probierten. Sie hätten diesen Leberkäse bestimmt nicht als zu salzig empfunden, mich dafür aber einfach nur für zimperlich.

 

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